Die Haftung des Geschäftsführers nach einem Insolvenzantrag im eröffneten vorläufigen Insolvenzverfahren
(BFH, Urt. v. 22.10.2019, VII R 30/18)
Wie weit der Gesetzgeber und die Rechtsprechung den Geschäftsführer eines Unternehmens am Rande einer Insolvenz in die Haftung nehmen wollen, wird exemplarisch an dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22.10.2019 deutlich.
Für die spätere Insolvenzschuldnerin wurde am 08.02. eine Lohnsteueranmeldung für ihre Arbeitnehmer abgegeben. Danach war am 11.03. die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer von der Insolvenzschuldnerin abzuführen.
Genau in dieser Zeit geschahen zwei Dinge: Erstens macht die Gesellschaft Umsatzsteuererstattungsansprüche gegen das Finanzamt geltend, das daraufhin einen erheblichen Betrag an die Insolvenzschuldnerin überwies, ohne mit der Lohnsteuer zu verrechnen. Zweitens kündigte der Hautlieferant der Gesellschaft die Geschäftsbeziehung, sodass diese unmittelbar handlungsunfähig wurde. Sie stellte daher am 07.03. einen Insolvenzantrag. Am selben Tag meldete ein Mitarbeiter des vom Gericht sofort bestellten Gutachters. Dieser schaute sich die Lage vor Ort an und schrieb den Geschäftsführer per Mail am 08.03. an und teilte u.a. mit, dass in den nächsten etwa 1,5 h das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet würde und wegen des anzuordnenden allgemeinen Zustimmungsvorbehalts ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters keine Gelder mehr an irgendjemanden gezahlt werden dürften. Selbst bei der Bestellung von Ersatzteilen für das Kundengeschäft müsse ein Freigabesystem miteinander besprochen werden. Das Insolvenzgericht erließ auch am selben Tag die angekündigten Beschlussinhalte.
Wegen der Lohnsteuerzahlung, die am 11.03. fällig wurde, fragte der Geschäftsführer daher erst gar nicht um Zustimmung des Verwalters nach. Nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet war, nahm das Finanzamt ihn gem. §§ 69, 34 AO wegen der nicht gezahlten Lohnsteuer persönlich in voller Höhe in Anspruch.
Das Finanzgericht hob den Bescheid des Finanzamtes auf mit der Begründung, dass der vorläufige Verwalter keinesfalls die Zahlung an das Finanzamt zugelassen hätte, sodass den Geschäftsführer keine Schuld treffe. Ihm seien die Hände gebunden gewesen, sodass er nicht mit der für die Inanspruchnahme erforderlichen groben Fahrlässigkeit gehandelt habe. Der BFH hob diese Entscheidung auf. In seinem Urteil führt das Gericht aus, dass es seinerseits bis heute nicht geklärt sei, ob die Verantwortung des Geschäftsführers für nicht gezahlte Steuern entfiele, wenn der vorläufige Verwalter die Zahlung ablehne. Das sei auch hier nicht zu entscheiden, weil der vom Gericht bestellte Verwalter gar nichts getan habe in dieser Richtung. Es sei nur sein Mitarbeiter gewesen. Das Finanzgericht hatte seine Entscheidung zugunsten des Beklagten auch damit begründet, dass es bekanntermaßen so sei, dass ein vorläufiger Verwalter Zahlungen an das Finanzamt nicht zulasse. Dem widersprach der BFH: Eine solche allgemeine Lebenserkenntnis gäbe es nicht. Es sei so, dass gerade in der Krise der Gesellschaft der Geschäftsführer erhöhte Pflichten habe. Der Geschäftsführer, der sich darauf berufe, er hätte nicht mehr zahlen können, müsse in aller Regel durch eine schriftliche Ablehnung seines Auszahlungswunsches an den vorläufigen Verwalter belegen, dass er, also der Verwalter, die Auszahlung verhindert habe. Davon können man nur dann absehen, wenn es konkrete und eindeutige objektive Anhaltspunkte dafür gebe, dass eine solche Anfrage sinnlos geblieben wäre. Der BFH betont nochmals, dass hypothetische Kausalverläufe unberücksichtigt bleiben. Es ist also u. a. irrelevant, dass eine Zahlung nach dem Insolvenzantrag ohnehin anfechtbar gewesen wäre.
Das Urteil ist lebensfremd. Aber es entspricht der Linie, die der BFH durchhält. Es ist also auch nach Insolvenzantragstellung und erst recht auch nach der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wichtig, als Geschäftsführer „am Ball zu bleiben“.