295 a Abs. 2 InsO – Die Feststellung der Einkünfte aus einem angemessenen fiktiven Dienstverhältnis eines Selbständigen
(AG München, Beschl. v. 04.02.2022 – 1509 IK 1052/21)
Der Beschluss des Amtsgerichts München beruht auf dem zum 01.01.2021 in Kraft getretenen § 295 a InsO und ist eine der ersten veröffentlichten Entscheidungen hierzu. Die Entscheidung hat folgenden Hintergrund:
Der Schuldner in einem Insolvenzverfahren hat das Recht, einen selbständigen Beruf auszuüben. Über die Aufnahme einer solchen Tätigkeit hat er den Insolvenzverwalter zu unterrichten. Der Verwalter hat dann ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus einer solchen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus einer solchen Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, § 35 Abs. 2 u. 3 InsO. Der Verwalter muss sich also entscheiden, ob die Einkünfte und der Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit prinzipiell der Insolvenzmasse zustehen, was zur Folge hat, dass dann auch die Kosten und Verbindlichkeiten von der Masse zu tragen sind, oder ob er die selbständige Tätigkeit freigibt. Dann stehen das Vermögen und der Gewinn dem Schuldner zu, der dann aber auch bei einem (erneuten) Scheitern neue Schulden hat, die von der Restschuldbefreiung nicht erfasst wären. Die Entscheidung des Verwalters ist eine Ermessensentscheidung. Regelhaft wird man sagen können, dass eine Freigabe deutlich häufiger erfolgen wird. Der Schuldner ist dann im eröffneten Insolvenzverfahren über sein Vermögen selbständig „unterwegs“.
Wenn der Verwalter die Freigabe erklärt hat, hat der Schuldner seine Gläubiger — gem. § 295 a Abs. 1 S. 1 InsO die Insolvenzgläubiger — so zu stellen, als wäre er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen. Er hat also so viel zu an die Masse abzuführen, wie es dann der Fall wäre, wenn er sich hätte anstellen lassen. Der von ihm an die Masse abzuführende Betrag wird also nach einem fiktiven Dienstverhältnis ermittelt. Neu ist an § 295 a InsO, der für Insolvenzverfahren gilt, die nach dem 31.12.2020 beantragt wurden, dass der Schuldner das Recht hat zu beantragen, dass das Insolvenzgericht den Betrag festsetzt, der den Bezügen aus einem angemessenen Dienstverhältnis entspricht. Umstritten war, ob das Gericht den Bruttobetrag aus dem Dienstverhältnis bestimmt, das Nettogehalt oder direkt den pfändbaren Anteil, der aus dem fiktiven Lohn abzuführen wäre. Das Amtsgericht München hat entschieden, dass das Gericht lediglich die Höhe des Bruttogehalts festsetzen kann. Denn wie hoch das Nettoeinkommen ist, das sich daraus ergibt, kann das Gericht nicht errechnen und in seiner einmal getroffenen Entscheidung nicht berücksichtigen, inwieweit gesetzgeberische Entscheidungen im Bereich des Steuer- und Sozialrechts künftig den Nettolohn beeinflussen. Auch spätere Änderungen des Familienstands des Schuldners oder Änderungen in den Einkommensverhältnissen beispielsweise des Ehepartners des Schuldners können dem Insolvenzgericht nicht bekannt sein und daher auch nicht berücksichtigt werden. Das Insolvenzgericht setzt somit auf Antrag des Schuldners nur das fiktive Bruttogehalt aus einem angemessenen Dienstverhältnis fest. Die Entscheidung des Amtsgericht München überzeugt.
Der Schuldner muss also jeweils eigenverantwortlich den jeweils pfändbaren fiktiven Lohnanteil ermitteln und abführen. Die Entscheidung des Gerichts entbindet den Schuldner somit nicht von der Obliegenheit, sich selbst um die Höhe des fiktiven pfändbaren Lohnanteils zu kümmern. Dies hat spätestens bis zum 31.01. des jeweiligen Folgejahrs zu geschehen, § 295 a Abs. 1 S. 2 InsO.
Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage, wie hoch das jeweils angemessene Einkommen aus einem fiktiven Dienstverhältnis ist. Der Schuldner sollte in seinem eigenen Interesse bemüht sein darzulegen, dass er als Angestellter nur schlechte Erwerbsaussichten hat. Die Tatsachen für die Bestimmung der fiktiven Einkünfte hat er glaubhaft zu machen. Die Kriterien für die Feststellung des fiktiven Einkommens sind alle den Einzelfall prägenden Umstände, namentlich die berufliche Qualifikation, der berufliche Werdegang, die gesundheitlichen und familiären Lebensumstände des Schuldners. In Konsequenz dessen wird man das fiktive Einkommen als Angesteller bei einem selbständig tätigen Schuldner, der aufgrund der gegebenen Umstände keine Anstellung finden könnte, mit 0,00 € festzusetzen haben.